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CDS in der Routineversorgung: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit​

CDS in der Routineversorgung: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Von links nach rechts: Andreas Fischer, Dr. Rüdiger Schaar, PD Dr. Haiko Schlögl, Dr. Daniel Steinbach

Leipzig, 24.11.2025

Clinical Decision Support-Systeme versprechen viel: präzisere Diagnosen, weniger Fehler, bessere Patientenversorgung. Doch wie sieht die Realität im Klinikalltag aus? Was braucht es wirklich, damit KI-basierte Entscheidungsunterstützung nicht nur technisch funktioniert, sondern auch klinisch einen Unterschied macht? 

In der ersten Session unseres CDS-Netzwerk-Symposiums diskutierten Expert:innen aus der Praxis drei konkrete Anwendungsfälle aus dem Klinikum Dritter Orden in München, dem Universitätsklinikum Leipzig und dem Carl Gustav Carus Universitätsklinikum Dresden: die Delir-Erkennung, die Prävention des lebensbedrohlichen Refeeding-Syndroms und die Herausforderungen der Arzneimitteltherapiesicherheit.

Die Vorträge von Dr. Rüdiger Schaar, PD Dr. Haiko Schlögl und Andreas Fischer zeigten eindrucksvoll: Erfolgreiche Implementierung beginnt nicht bei der KI – sie beginnt bei den grundlegenden Strukturen, einem klaren Verständnis der klinischen Bedürfnisse und der Datenqualität.

Die wichtigsten Erkenntnisse aus den Einzelvorträgen der Vortragenden und welche praktischen Lehren sich daraus für die Entwicklung und Einführung von CDS-Systemen ziehen lassen, fassen wir im folgenden für Sie zusammen.

Die Erkenntnisse im Detail

Basis für die Einführung des Delir-Entscheidungsunterstützungssystem „clinalytix“

Dr. Rüdiger Schaar | Leiter Organisations­entwicklung | Klinikum Dritter Orden, München-Nymphenburg

  • Delir ist ein massiv unterschätztes klinisches Problem – nicht wegen der seltenen hyperaktiven Fälle, sondern wegen der häufigen hypoaktiven Formen. Das Mortalitätsrisiko ist vergleichbar mit  Sepsis oder Herzinfarkt, wird aber kaum wahrgenommen, dokumentiert oder kodiert.
  • Technik allein löst das Problem nicht: Die Einführung eines KI-basierten Delir-Risiko-Systems (clinalytix) funktioniert technisch, aber ohne Bewusstsein, Schulung, klare Prozesse und ein interdisziplinäres Konzept bringt es keinen klinischen Mehrwert.
  • Der „Delir-Teufelskreis“ verhindert Verbesserungen: Fehlendes Wissen führt zu fehlender Erfassung → zu schlechter Dokumentation → zu fehlender Kodierung → zu fehlenden Ressourcen → zu unverändert schlechter Versorgung. Erst offene Fehlerkultur, klare SOPs und praktische Alltagshilfen können diesen Kreislauf durchbrechen
Automatisierte Detektion des Refeeding-Syndroms

PD Dr. Haiko Schlögl | Oberarzt für Innere Medizin und Endokrinologie | Universitätsklinikum Leipzig AöR

  • Refeeding-Syndrom ist häufig unerkannt – aber hochgefährlich: Die relevanten Elektrolyte (insbesondere Phosphat, Kalium, Magnesium) können trotz entleerten Körperspeichern im Serum normale Werte aufweisen. Die Wiederaufnahme der Ernährung birgt das Risiko für kardiale Komplikationen wie Rhythmusstörungen und Herzinsuffizienz bishin zum Tod.
  • AMPEL-CDSS schließt gefährliche Versorgungslücke am Uniklinikum Leipzig: Da viele Ärzt:innen das Syndrom kaum kennen und Laborverläufe schwer zu interpretieren sind, detektiert der Algorithmus gefährliche Elektrolyt-Abfälle zuverlässig – und erreicht im Projekt eine hohe Trefferquote von ca. 50 % „echter“ Refeeding-Fälle unter den roten Alarmen.
  • Früherkennung ermöglicht lebensrettende Therapie: Wird das Risiko rechtzeitig erkannt, können Elektrolyte substituiert und Kalorien langsam gesteigert werden. Das verhindert die dramatischen klinischen Verläufe, die im normalen Stationsalltag oft unentdeckt bleiben würden.

„Ohne das AMPEL-System wäre bei dieser Patientin am Wochenende niemand auf das Refeeding-Risiko gekommen – und das wäre mit Sicherheit schiefgegangen.“

– PD Dr. Haiko Schlögl

CDS in der Klinik-Apotheke: sichere, effiziente und innovative Arzneimittelversorgung durch digitale Lösungen

Andreas Fischer | Leitender Stationsapotheker | Universitätsklinikum Carl Gustav Carus in Dresden

  • Clinical Decision Support scheitert derzeit an fehlendem Kontext und schlechter Datenqualität: Aktuelle Systeme liefern generische Warnungen, die klinisch nutzlos sind und bei medizinischem Fachpersonal häufig zu Alert Fatigue führen. Wichtige patientenspezifische Faktoren wie Dynamik, Diagnosen, Vitalparameter oder akutes Nierenversagen fließen kaum ein.
  • Interoperabilität und Kodierung sind das größte strukturelle Hindernis: Drei Verschreibungssysteme, die nicht miteinander sprechen – plus fragmentierte Standards (ATC, PZN, SNOMED, FHIR) – verhindern konsistente Datenflüsse. Ohne gemeinsame Struktur lassen sich weder Versorgung noch Forschung sinnvoll digital abbilden.
  • Vor KI kommt die Basisarbeit: Die wirklich einfachen Fragen („Welcher Patient bekommt welches Medikament in welcher Dosis an welchem Tag?“) können Systeme oft nicht zuverlässig beantworten. Erst wenn diese Grundlagen technisch gelöst und Daten sauber strukturiert sind, kann KI überhaupt sinnvoll in die klinische Entscheidungsunterstützung integriert werden.

Fazit: Keep it simple, connected and special

Die Diskussionen der ersten Session haben eines deutlich gemacht: Der Erfolg von Clinical Decision Support in der Routineversorgung hängt von drei grundlegenden Faktoren:

Erstens braucht es saubere, strukturierte und interoperable Daten – ohne diese Basis bleibt selbst die ausgefeilteste KI wirkungslos oder produziert irrelevante Warnungen, die zu Alert Fatigue führen.

Zweitens Zweitens muss CDS in das Versorgungsumfeld eingebettet sein: Patientenspezifische Faktoren, der klinische Versorgungsprozess, aktuelle Diagnosen und der konkrete Behandlungsabläufe müssen berücksichtigt werden, damit aus generischen Warnungen echte Entscheidungshilfen werden.

Drittens – und vielleicht am wichtigsten – löst Technik allein keine klinischen Probleme. Ohne Bewusstsein für das Problem, ohne Schulung, ohne klare Prozesse und ohne interdisziplinäre Zusammenarbeit verpufft selbst das beste System.

Die drei Praxistipps aus der Session sollten daher zum Leitsatz jeder CDS-Entwicklung werden:

      • Keep it simple (praktisch und relevant für die Nutzer),
      • Keep it connected (nahtlos in die Arbeitsumgebung integriert)
      • Keep it special (fokussiert auf ein klar abgegrenztes Problem mit überschaubarer Komplexität).

Nur so können wir CDS-Systeme schaffen, die nicht im Projektstadium steckenbleiben, sondern nachhaltig die Versorgungsqualität verbessern – sei es bei der Delir-Prävention, der Vermeidung von Refeeding-Komplikationen oder der sicheren Arzneimitteltherapie.

Sie möchten mehr über die einzelnen Vorträge erfahren oder haben eigene Erfahrungen mit CDS in der Routineversorgung? Kontaktieren Sie uns oder die Vortragenden direkt und werden Sie Teil des CDS-Netzwerks!

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